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Was genau sind „Freiheitsenergien“?

Was genau sind „Freiheitsenergien“?

Als Bundesfinanzminister Christian Lindner kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 in einer Bundestagsdebatte über die Tatsache, dass sich Deutschland nicht einfach mit einem Embargo von russischem Gas, Öl und Kohle verabschieden könne, ohne die eigene Energiesicherheit zu gefährden, den Begriff der „Freiheitsenergien“ für erneuerbare Energien verwendete, wurde er zum Vorreiter.

Vor diesem Hintergrund verwandelte sich der FDP-Politiker Lindner blitzschnell in einen Öko-Pionier: Die erneuerbaren Energien müssen schnell ausgebaut werden, um unabhängig von fossilen Brennstoffen zu werden und nicht mehr auf die Energieversorgung eines Aggressors wie Russland angewiesen zu sein. Diese „Freiheitsenergien“ sind das, was sie sind.

Zustimmung zu den „Freiheitsenergien“ von vielen Seiten

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war das erste Mitglied der Regierung, das seinem Ministerkollegen (SPD) zustimmte, obwohl dies nicht in seine Zuständigkeit fällt. Lauterbach stimmte zu, dass die Energiesicherheit angesichts der Aggressivität Russlands in der Ukraine immer wichtiger werde und dass es daher unerlässlich sei, die Energieplanung an diesen Umstand anzupassen. Lauterbach twitterte, dass wir uns „unabhängig machen müssen von Gas und Öl aus Ländern, die uns erpressen können“.

Auch Experten haben sich hinter Lindners Position gestellt. Lindner liege „völlig richtig“, so Claudia Kemfert, Energieexpertin am DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung). Kemfert ist eine Expertin, die sich seit langem mit den Möglichkeiten einer vollständigen Umstellung der Energieversorgung der Haushalte auf erneuerbare Energien beschäftigt. „Die Umstellung auf erneuerbare Energien sichert den Frieden“, so die Referentin.

Wie weit geht Lindner mit den Freiheitsenergien?

Am 10. März 2022 erklärte der Bundesfinanzminister, dass alle Sanktionen gegen Russland möglich seien, einschließlich einer vollständigen Abkopplung in der Energiewirtschaft. Lindner glaubt daher nicht, dass ein Verzicht auf russische Energieimporte die deutsche Wirtschaft implodieren lassen würde. Diese Option werde auf dem Tisch liegen, sagte er nach einem Arbeitsgespräch mit Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Mara Calvio in der zweiten Märzwoche 2022. Vorerst ziehe er es jedoch vor, die Strafe mit anderen Mitteln zu verhängen.

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Dennoch könnte ein Energieboykott ein tödlicher Schlag für Russland sein. Dies zeigt sich daran, dass Putin am 13. März 2022 unmissverständlich erklärt hat, dass Russland seine Lieferverträge für Öl, Gas und Kohle einhalten wird. Obwohl in offiziellen russischen Kreisen am 11. und 12. März die Rede davon war, dass die Gaspipeline Nordstream 1 gestrichen werden könnte, scheinen russische Wirtschaftsexperten ihre Regierung sofort vor dem wirtschaftlichen GAU gewarnt zu haben, der sich aus einer solchen Maßnahme ergeben würde. Putin ruderte daraufhin zurück.
Der deutsche Finanzminister Lindner hingegen zeigte sich zuversichtlich, dass die deutsche Exportwirtschaft und die Finanzmärkte den Konflikt in der Ukraine überstehen werden.

Selbst wenn ein Verbot russischer Energielieferungen in Erwägung gezogen werde, seien die Auswirkungen kontrolliert und kalkulierbar, so Lindner. Er räumte jedoch ein, dass ein langwieriger Konflikt die Versorgungsleitungen unterbrechen und als Folge der hohen Ölpreise große wirtschaftliche Probleme verursachen könnte. Dennoch müsse Russland jetzt den „höchstmöglichen Preis“ für den Konflikt zahlen.

Welche Rolle spielen unsere Energieimporte aus Russland für die Kriegsfinanzierung?

Dabei handelt es sich lediglich um eine vorläufige Schätzung. Verschiedenen Berichten zufolge stellt die EU Russland täglich zwischen 500 und 800 Millionen Euro für Energiekäufe zur Verfügung. Dieser Betrag stieg mit dem Ausbruch des Krieges infolge des Marktschocks an. So stieg der Preis für Brent-Öl kurz nach Beginn des Konflikts von etwa 95 auf ursprünglich 133 Dollar pro Barrel, ist aber inzwischen auf 105 Dollar gesunken (Stand: 14. März 2022).

Der Gaspreis schwankt praktisch im Gleichschritt mit dem Ölpreis. Das bedeutet, dass die Rohstofflieferanten (einschließlich Russland) bei gleichen Herstellungs- und Lieferkosten 40 % mehr verdienen könnten. Da sich die Herstellungs- und Lieferkosten nicht geändert haben, fließt dieser Gewinn direkt in die Taschen der Lieferanten. Diese haben in der Regel eine Gewinnspanne von 30 bis 40 %, die sich nun fast vervierfacht hat.

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Dennoch ist es falsch, wenn einige Experten behaupten, dass unsere Energieimporte aus Russland den Krieg direkt unterstützen, da diese angeblich nur knapp eine Milliarde Dollar pro Tag kosten, was nur wenig mehr ist, als Russland für seine Rohstofflieferungen von der EU erhält. Schließlich ist im Gesamtpreis ein russischer Kostenanteil enthalten. Dennoch ist es nicht falsch zu behaupten, dass unsere Energieimporte zu fast einem Drittel der Kriegskosten beitragen. Das ist eine schwer zu verkraftende Sache.

Wie kommen wir von Russlands Energielieferungen weg?

So sehr es uns auch schmerzt, der Übergang zu einer ökologischen, von fossilen Rohstoffen (und damit von CO2-Emissionen) unabhängigen Energiequelle erfordert Zeit und Geld. Jeder Autofahrer mag sich insgeheim fragen: „Warum steigen wir nicht so schnell wie möglich auf ein Elektroauto um, angesichts der massiven öffentlichen Subventionen?“

Es ist einfach zu schwierig, zu kostspielig und vielleicht auch zu unangenehm. Das gilt auch für die Energiewirtschaft insgesamt. Das zeigt sich daran, dass in Deutschland seit Ende Februar 2022 darüber diskutiert wird, die verbliebenen Atomkraftwerke doch nicht abzuschalten und stattdessen in größerem Umfang auf Kohlekraftwerke zu setzen. An ähnlichen Überlegungen ist auch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck beteiligt.

Aber Lindner hat nach dem Konflikt den ökologischen Umbau der Wirtschaft als erklärtes Ziel verkündet, und er sollte daran festhalten, weil es funktionieren kann. Das haben Experten schon vor einiger Zeit errechnet, darunter die bereits erwähnte Professorin Claudia Kemfert. Ihre Forschungsgruppe am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnete vor, dass Deutschland bereits 2019 seinen gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse decken könnte. Dazu müsste aber vor allem das Wachstum von Wind- und Solarenergie sehr stark forciert werden.

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Die Forschungsgruppe von Prof. Kemfert hat dafür ein machbares Szenario für 2019 mit einer Zeitspanne von 10 bis 15 Jahren entwickelt. Die gute Nachricht ist, dass dies nicht nur technisch machbar und ökologisch wünschenswert (und laut neueren Studien auch geopolitisch notwendig), sondern auch wirtschaftlich effizient ist. Schließlich hätten wir dank dieser „Freiheitsenergien“ billigeren Strom und wären völlig unabhängig von Potentaten wie Putin. Dass wir dabei auch die Umwelt schonen, ist ein zusätzliches Plus. Da die fossilen Brennstoffe durch den Konflikt so teuer geworden sind, ist es logisch, diese höheren Ausgaben in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu stecken. Das ist wahrscheinlich das, was Christin Lindner meinte, als sie von „Freiheitsenergien“ sprach.

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